13.07.2018: „Juchhe! Der Wein ist da, die Tonnen gut gefüllt, nun laßt uns fröhlich sein und juchhe aus vollem Halse schrein!“ Gibt es eine bessere Stimmung, um auf’s bewegte Meer zu ziehen als diese schwungvollen Worte aus Joseph Haydn’s „Die Jahreszeiten“? Nach bewegendem „Landurlaub“ mit acht sehr intensiven Konzerten geht’s für mich jetzt via Göteborg nach Oslo – und damit ins wunderbare Labyrinth zigtausender schwedischer Schären der Westküste.

Auch da werden „Tonnen“ extrem wichtig sein – aber sehr andere, als die im Lied besungenen: denn die Tonnen als Seezeichen helfen enorm bei der herausfordernden Navigation durch die Irrgärten der zigtausend Inseln der Schärengärten, diesem wundervollen Segelrevier! 

Und ja, ebenso kann es ja an Land oftmals fast „unüberschaubare Regionen & Situationen“ geben, zu denen so etwas wie Seekarten oder gar „Revierführer“ nur äußerst schwer zu finden sind…! Zum Glück helfen ja Noten beim „Kurshalten“ auf den unglaublich beweglichen Musikwellen, so dass diese „Musikmeere“ mit großer Freude und vielen Erfolgen durchsegelt werden konnten!

Neben den im letzten Beitrag erwähnten Konzerten ging’s noch durch sehr „brausende“ und große Musikwerke mit dem Uniorchester: nach der Egmont-Ouvertüre von Ludwig van Beethoven konnte ich einen großen Solisten durch das Dvorak-Cellokonzert begleiten, denn Valentino Worlitzsch zeigte mit sprühender Energie, wie mit höchster Könnerschaft wunderschöne Musikwelten auf eindrucksvolle Weise durchkreuzt und geschaffen werden können. Und wie viel tiefe Freude dies ganz offensichtlich auch ihm selber bereiten kann – ebenso wie den Zuhörern im gut besuchten Kieler Schloss. Für die Kieler Nachrichten überzeugte der „leidenschaftliche Solist mit kräftigem Zugriff und erdfarbener Tongebung“.  In der anschließenden fünften Symphonie von Tschaikowski sehen sie dann in dem Programm, welches insgesamt eine „anspruchsvolle Hochgebirgstour durch die Tücken großer Konzertliteratur“ ist, die „Tour de Force“ – die trotz mancher Stolperer „Dramatik und wuchtige Stringenz atmet.“ (Kritik von Detlef Bielefeld in den KN, 30. Juni 2018)

Für mich bedeutete auch das Spielen dieses Werkes mit hohen spieltechnischen Anforderungen erneut ein intensives Eintauchen in die wunderbare Lebendigkeit und Vielschichtigkeit großer Musik, welches auf weite „innere Meere“ führen kann. Für mich immer noch oftmals fast unbegreiflich, warum man sich dort so enorm frei fühlen kann – da ja die Töne nicht den Bruchteil einer Sekunde „frei gesetzt“ werden dürfen und die Finger auf dem Griffbrett eigentlich keinen Millimeter vom „richtigen Punkt“ abweichen dürfen. Doch gerade wunderbare, ganz weit über den eigenen Verstand herausgehende Musik spielen zu dürfen und da in einer großen „Mannschaft“ im Orchster solche Werke „reifen“ zu sehen und dazu sowie zum Gelingen im Konzert mit höchster Konzentration und allen Kräften beizutragen – dies hat für mich eine ebensolche Faszination wie das Steuern eines Schiffes über das vielfach bewegte und bewegende Meer. 

Ebenfalls ist es sehr spannend zu erleben, wie enorm sich Werke auch stark in Abhängigkeit zur eigenen Lebenssituation in der Wahrnehmung verändern können. Grundsätzlich gilt ja oftmals: „man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen“ – und genauso kann man wohl meistens nur mit sehr großen Veränderungen zweimal dieselben Werke spielen. Denn auch wenn wir mit demselben Orchester bereits im Wintersemester 2012/13 Tschaikowski’s fünfte Symphonie gespielt hatten – die Gesamtsituation hat sich für mich so stark geändert, dass nun ganz andere Passagen, Stimmen, Melodien und „Höhen & Tiefen“ in den Fokus kamen und mich faszinierten. So ließen sie auch tiefe Gefühle auftauchten, erneut erleben und konnten manches verändern. Ja, so unterliegt die Beziehung zur Musik und allen Ausführenden vielen ständigen und enormen Veränderungen, die gleichartig stark variierend und „lebendig“ sind wie das glitzernde Meer. Schön wenn’s aufbauend ist, rhythmisch und „freundlich“ auf den Strand trommelt – und der Seegang nicht überhand nimmt, denn zumindest am Meer lauern auch immer wieder Stürme…

Dem gegenüber war demselben Kritiker des Uniorchesters ein weiteres Konzert, welches ich noch vor wenigen Tagen mitspielen durfte, insgesamt „wohltemperiert“: denn so sah er die Aufführung von Joseph Haydns „Die Jahreszeiten“ in der Kirche in Bordesholm. Dem  Kieler Kammerorchester sei dabei beispielsweise eine „beklemmend imaginierte Winterstarre“ gelungen – welches genau unsere Intension nach starker Gestaltung auch des Klanges durch den sehr differenziert agierenden Dirigenten Bernhard Emmer war, der wegen des überakustischen Raumklanges der Klosterkirche aufgrund seiner „langjähriger Erfahrung entsprechend gelassene Tempi wählte und Schroffheiten vermied“. In der zweiten Aufführung in der Kieler Nikolaikirche war dann aber auch deutlich mehr „Verve und Bukolik“, welches der Kritiker gefordert hatte – zumindest empfanden dies sowohl einige Zuhörer als auch Musiker so. Sehr schmeichelhaft klingt mir als erstem von insgesamt nur drei Cellisten die Einschätzung, dass dies Orchester groß besetzt gewesen sei und zudem bewegte auch mich stark, womit der Kritiker treffend schloss: „der Schlussjubel war allemal groß“. (Kritik von Detlef Bielefeld am 18. Juli 2018)

Nach dem Anhören einer wirklich guten Aufnahme kann ich auch hier wieder mit Erstaunen feststellen, wie stark sich die Wahrnehmung mit der Perspektive verändert. Denn vieles, was mir selber beim Spielen als fast schon zu laut vorkam ist dann auf der Aufnahme für mein Empfinden in sehr stimmiger Präsenz zu hören oder eben oftmals „wohltemperiert“ – und zudem hätten wir zu dritt manchmal „noch mehr Segel setzen können“. Doch zumeist trugen wir das Bassfundament stark mit und durften an manchen Stellen mit den Solisten „mitsingen“.

So viel zur Musik – und wegen dieser für mich persönlich unglaublich wichtigen und bereichernden „Musik-Fülle“ stehen hier so schöne Themen-Fahrten wie erneut mit der vhs-Hamburg zu Hafen & Ökosystem der Elbe sowie die sehr schöne Fahrt am Langen Tag der Stadtnatur Hamburg nicht in dem Fokus, der auch ihnen gebühren würde. Aber da sind noch weitere Fahrten im Herbst Dank des starken Engagements des Naturkundlers und Naturschützers Andreas Klotz, mit dem zusammen wir die Fahrten machen. Ich werde berichten!

Und was hat dies nun mit Klima und Segeln zu tun?

Es ist sicherlich eine sehr eigenwillige und eher „vorbereitende Interpretation“ des fragenden Buchtitels des Klimawissenschaftlers Mojib Latif: „Bringen wir das Klima aus dem Takt?“ Denn sowohl die Musik als auch nun die Fahrten durch diese vielschichtigen, enorm komplexen Ökosysteme wie die der schwedischen Schärengärten und des Oslofjordes sollen feines Empfinden, Blick und Verständnis schärfen für die Vielseitigkeit, Lebendigkeit und auch Schutzbedürftigkeit der wunderschönen Natur. Dazu helfen unmittelbare Erlebnisse enorm stark!

Ich ziehe jedenfalls mit großer Vorfreude und „musikalisch beschwingt“ gen Norden und wünsche allen Lesern einen guten und freudvollen (Segel-)Sommer!