12.05.2017: Der Kutter neigt sich extrem auf die Seite, ein riesiger Schwall Wasser strömt über die Bordwand und drückt in wenigen Sekunden hunderte Liter ins Boot – und doch sträubt sich der 8,5m lange Zweimaster enorm und richtet sich immer wieder auf. Erst fast randvoll gefüllt kentert er bei der nächsten Böe – aber auch dabei mussten wir noch leicht mithelfen!
Diese Kutter wurden um 1900 in der kaiserlichen Marine als Rettungsboote eingesetzt, und dementsprechend zäh wehrte sich unser Kutter und wollte sich nicht umwerfen lassen. Doch mit extremem Übersteuern und Gewichtsverlagerung sind wir gekentert, treiben nun auf dem Bootsrumpf, der halb aus dem Wasser ragt. Der kräftige Wind mit rund sechs Windstärken drückt uns so herum, dass uns der Wind ins Gesicht bläst, wenn wir auf dem Rumpf uns festklammernd zu den auf dem Wasser liegenden Segeln sehen. Sind alle aus der achtköpfigen Crew da? Ist niemand mehr unter den Segeln? Hat das 8-9°C kühle Wasser keinen Schock auslösen können – was ja auch in einer Übung passieren kann?!
Die Crew ist wohlauf, wir klettern auf den Rumpf, sichern ihn und halten ihn waagerecht im Wasser, indem wir uns auf das Schwert stellen. Mehr, immer mehr Gewicht drauf, nach aussen lehnen – und der Kutter beginnt sich langsam aufzurichten. Vorsicht: der kräftige Wind greift unters Segel und wir müssen gut vorausdenken, denn wenn wir zu schnell aufrichten und eine Böe im falschen Moment eingreift, dann kann der Kutter sehr schnell vom Wind wieder umgeworfen werden und zur anderen Seite kentern. Wir müssen unsere Aktionen genau koordinieren, müssen sehr gut zusammenarbeiten.
Dann richtet er sich voll auf, schwankt stark hin und her, der Wind zerrt an den Segeln – doch er bleibt aufrecht! Nun gilt’s auszuschöpfen, das Wasser aus dieser „riesigen Badewanne“ heraus zu bekommen. Erst dann dürfen alle Crewmitglieder wieder einsteigen. Ja klar: ein wirklich durchgefrorener Gesichtsausdruck, in dem auch „angemessener Respekt“ zu erkennen waren, ließen mich schon frühzeitiger ein paar mehr Crewmitglieder an Bord nehmen, unser Kutter und die „Pump-Mannschaft“ konnten dies doch schon vertragen… Und wir lenzten den Kutter komplett aus eigener Kraft und setzten die Reise ohne fremde Hilfe benötigt zu haben fort. Mit gehörigem Stolz kamen wir wieder am Steg von Event Nature in Sundsacker an – und mit einem enorm tiefgehenden Erlebnis und respekteinflößenden Erfahrungen! Vielen Dank an die Globetrotter-Akademie, dass uns der Kutter zum Kentern sowie ein zweiter zur Sicherung zur Verfügung gestellt wurde und wir dies Kentertraining unter der sehr kompetenten Anleitung unseres Seminarleiters Lars Tegethof machen konnten!
Ja, und wie stark lassen sich doch diese Bilder übertragen, erweitern und „extrapolieren“: wie dramatisch muss doch ein Kentern eines hochkomplexen Systems, beispielsweise eines Ökosystems oder gar das Kippen eines (weiträumigen) Klimasystems sein? Und ließe sich soetwas überhaupt wieder aufrichten? Unseren Kutter hatten wir im Vorfeld gegen ein Durchkentern gesichert, indem wir Fender als Auftriebskörper in den Mastspitzen befestigten (denn beim Durchkentern hätte leicht ein großer Schaden entstehen können). Vergleichbare Sicherungen lassen sich selbstverständlich nicht in einem Klimasystem vornehmen…
Diese Überlegungen sind hier nur kurz angerissen und grob skizziert, doch sie gehen weiter – denn riesige Systeme dürfen einfach nicht kippen, da ein solches „Kentern“ aller Voraussicht nach katastrophale Folgen hätte. Und doch war neben diesen Überlegungen auch beeindruckend, wie enorm stark die Aufrichtkräfte wirkten!
Herzlichen Dank an die Fotografen Lars Tegethof (mit meiner Kamera) und Ron Rademacher (mit wasserdichter Kamera;-).
die bilder zaubern mir ein lächeln ins gesicht.
trotzdem ist jedem zu wünschen, nie ungewollt zu kentern.
beste grüsse aus dem süden