04.05.2020: Nach knapp 9.300 Seemeilen in 99 Tagen seit dem Start in Elsfleth erreichten wir am 25. April Veracruz in Mexiko. Ursprünglich wollte ich von hier in der NEUEN WELT Spuren des Alexander von Humboldt nachgehen – doch die Corona-Krise wirbelt alles durcheinander! Nun wollen wir morgen in ein großes Segelabenteuer aufbrechen: nur ein kurzer Zwischenstopp auf den Azoren wird uns auf den über 6.000 Seemeilen zurück nach Hamburg erlaubt. Die längsten Etappen der 5. Reise der AVONTUUR stehen uns bevor! Welch ANDERE WELT wird uns allgemein in Europa und speziell an der Elbe wohl erwarten?

Ja, ein „Land-Schock“ sitzt doch sehr tief und ich kann’s immer noch nicht wirklich fassen, was da gerade um uns herum passiert. Im Kleinen ist’s unglaublich, wie extrem reizvoll das LAND nach immer weiteren Tagen auf See oder maximal kurz in Häfen wird – denn in den knapp 6.500 Seemeilen seit Gran Canaria durften wir nicht mehr vom Schiff runter, gab es für uns nur noch das 44m lange weiße Segelschiff… und News und Telefonate oftmals geradezu wie aus einer anderen Welt…!

Klar, die Krise kann ja auch als Chance gesehen werden, denn sie zeigt ja so unglaublich drastisch, dass unsere momentane Lebens- und Wirtschaftsweise in eine geradezu katastrophale Sackgasse führen kann – deutlicher als die über Medien und direkte Berichte erhaltenen Eindrücke konstruierten wohl nicht mal überzeichnende Hollywood-Filme ähnliche Szenarien. Doch zum wirklichen Begreifen dieser Chance brauche ich definitiv noch eine ganze Weile, vielleicht eine Nordatlantik-Überquerung lang?

Wir sind hier oftmals geradezu surreal fern, dabei auch geradezu wunderbar geschützt in unserer „kleinen Arche“. Denn so wirkt der so starke & liebenswerte Frachtsegler in seinem 100ten Jahr oft auf mich.

Geradezu ein „Witz der Geschichte“: da segeln wir über den Atlantik, können jeden Tag intensiv und hautnah kleine Veränderungen in Luft- und Wassertemperaturen entdecken. Dazu wie sich die Zeit verschiebt (oder wir uns in den Zeitzonen…) und wir unsere Position relativ zu den Sternen immer weiter ändern auf den rund 3.200 Seemeilen von den Kanaren zu den kleinen Antillen. Wir sind nun über drei Monate unterwegs zwischen Deutschland und Mexiko – und werden quasi zu einem „Lateinamerika im Schnell-Durchlauf“ gezwungen: Guadeloupe in drei Stunden, Honduras in zehn und in Belize waren wir erneut nur für gut drei Stunden im Hafen…

Immerhin konnten wir insgesamt rund 64 Tonnen Ladung nehmen, Kaffee und Kakao – teilweise dauerte das Beladen bis spät in die Nacht.

Und über die kostbare Ladung treffe ich ganz unverhofft doch noch auf Spuren des großen Begründers der Ökologie und Geographie, denn die Schokoladen-Manufaktur Choco del Sol, für die wir vier Tonnen Kakao-Bohnen in 60kg-Säcken transportieren, zitiert im Flyer Alexander von Humboldt:

„Kein zweites Mal hat die Natur eine solche Fülle der wertvollsten Nährstoffe auf einem so kleinen Raum zusammengedrängt wie gerade bei der Kakaobohne.“

Für uns wird Schokolade immer kostbarer, da fast jeder seine „Wertanlagen“ & Schätze fast komplett aufgebraucht hat… und zudem konnte ich mir bisher nicht vorstellen, dass man gebratenen Fisch einer Barbeque-Gruppe auf kleiner, postkarten-idyllischer Insel an der Küste von Belize quasi fast schon schmecken kann, wenn man ihn durch das Fernglas betrachtet, so stark ist mein „Land-Hunger“. Dabei ist’s ja eigentlich die große Liebe zum Meer, die immer wieder zu den Seefahrten antreibt. Vielleicht gab’s ja auch von der Insel aus sehnsüchtige Blicke zum vorbeifahrenden Segelschiff?!

JA, UNS GEHT’s GUT! Und wir sind wohl in gewisser Weise sogar in einer priviligierten Situation, denn unser schwankendes Zuhause bietet uns so viel – sogar Beschäftigung satt, denn beispielsweise Arbeiten an Holz und Stahl sind in gewisser Weise „nachwachsend“: man kann fast schon wieder am Heck neu anfangen, wenn man sich bis zum Bug durchgearbeitet hatte. Welch ein Glück, dass Wasser und Salz auf Trapp halten! Und dann zischen da so faszinierende Vögel über uns hinweg, landen gelegentlich an Bord und ebenso wimmelt’s auch im Wasser immer wieder um uns rum. Oder in Kombination fliegen Fische um uns herum – und landen auch gelegentlich mal klatschend an Deck, sogar einmalig krachte ein fliegender Fisch an die Brust eines Mitseglers! Und beispielsweise Delfine sind jedes mal wieder enorm faszinierend. JA, wir sind umgeben von herrlichen karibischen Farben wie dem türkiesen Wasser, dass zudem oftmals Temperaturen über 28 Grad hat! Wenn wir mal ins Wasser können ist’s schon erstaunlich, denn es kühlt kaum noch…!

Und dann ist es immer wieder geradezu absurd, in diesen Zeiten beispielsweise die feinen Veränderungen von Wassertemperaturen bei verschiedenen Meerestiefen oder beim Segeln in den Golf von Mexiko hinein genauer zu beobachten oder davon zu schreiben – denn irgendwie überdeckt die Corona-Krise alles.

Dabei ist’s vermutlich auch an Bord enorm wichtig eben die unglaubliche Schönheit um uns herum, dieses so faszinierend vielfältige Meer und diese spannende Region genau zu betrachten und aus ihr „Immunstärke“ zu ziehen – so wie ich mir kein Leben an Land vorstellen kann, bei dem nicht mindestens Ausflüge „ins Grüne“ und bevorzugt „Blicke auf’s Blaue“ möglich sind.

Ich wünsche Allen „da draußen“ gute Gesundheit und hoffe, dass ein paar Bilder zumindest ein wenig frischen Wind und in gutem Maße „antreibendes Fernweh“ bringen können?! Mich zieht auch eine gehörige Portion Heimweh den noch sehr langen Weg zurück über den Nordatlantik via den Azoren nach Hamburg, oha, meine Perle…!

…dabei freue ich mich auch enorm auf unseren Hamburger-Zweimaster SAMYRAH, mit dem wir Dank meiner Kollegen auch in der momentan so schwierigen Situation ab Juli wieder Törns anbieten können: einfach mal reinschauen, vielleicht sind Tages- oder Wochen-Fahrten das Richtige zum Stillen des Fernwehs?

Am 1. Mai erschien ein Artikel über die Reise: Month at sea with no internet, sailing ship heads back to a ‚different world‘

Während die ganze Crew der 5. Reise der AVONTUUR nach dem angekündigten Besuch aus der Vergangenheit Ausschau hält…
…merken vermutlich alle, dass auch diese Crew bereits fester Bestandteil der 100jährigen Geschichte des Frachtseglers ist.
Ganz harte Kerle, denen wir auf unserer Zeitreise am 100. Geburtstag der AVONTUUR begegnen.
Ja, es sind sehr stürmische Zeiten! Bei Ankunft vor Veracruz in Mexiko dann auch im Wortsinn, denn Böen mit bis zu zehn Windstärken peitschten nachts über das Schiff.
Vor dem 180m langen und 32m breiten Massengutfrachter aus Hongkong sind wir nur ein kleiner Zwerg – aber bereits bei Abfahrt in Elsfleth wurde daran erinnert: David war auch nur ein Winzling im Vergleich mit Goliath…!

One comment on “Aufbruch in Mexiko mit vollem Laderaum in eine „andere Welt“!

  • Antje Schultheis

    Wow, was ein Abenteuer. Das einzig richtige, was man in dieser absurden Pandemieparanoia machen kann!
    Lg vom Rhein aus Bonn

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