22.04.2022: Unter Raumwissenschaftlern steht Kiel für einen Wendepunkt, eine Befreiung wie die ’68er Bewegung – nur ein Jahr später. Auf dem Geographentag 1969 gab’s einen starken Kurswechsel: die „Briefträger-Geographie“ wurde aufgebrochen und eine wesentlich komplexere Wissenschaft entstand. In ihr werden verschiedene Erkenntnisse verknüpft und neben räumliche Grenzen auch jene zwischen den Disziplinen überschritten. Genau 50 Jahre später stand 2019 der Deutsche Kongress für Geographie unter dem Motto: „UMBRÜCHE UND AUFBRÜCHE“. Durch ähnlichen „Wirbel“ von Zerlegen und Neuaufbau mussten wir beim Refit unserer SAMYRAH durch, um weiter auch gen Klimaschutz steuern zu können. Schon bald wollen wir zur UN-Konferenz für Nachhaltigkeit nach Stockholm segeln!

Die ganze Sache kam nach dem Ziehen der Masten unseres Hamburger-Zweimasters zur Kontrolle am 21. November so richtig in Fahrt. Denn die Masten mussten wir genau untersuchen lassen und es zeigte sich, dass da ordentlich erneuert werden muss. Dann auch gleich mit „voller Kraft“: in der Jensen-Werft in Wedel wurden ab Anfang 2022 der Großmast neu gebaut und der Schonermast komplett überholt. Dies braucht entsprechend ordentliches Geld. Und eine Menge guter Logistik, so dass wir den Transport der Masten und die Bearbeitung sowie Einlagerung von Wanten, Bäumen, Gaffeln und der Stenge (oberster Teil des Großmastes) nur Dank der Firma Voß-Edelstahl aus Neu Wulmstorf in der Nähe unseres Heimathafens Hamburg-Harburg schafften. Dadurch wurden wir trotz Corona-Ausbrüchen und zudem noch einem Strumsschaden nicht ausgebremst. Zwar wurden wir vor größere Herausforderungen gestellt, jedoch sind die Aussichten gut, dass wir alles termingerecht fertigbekommen – auch wenn noch nicht alle Hürden geschafft sind…

Nachdem im November die Masten gezogen waren wurde uns ganz deutlich klar: so würden wir ja gut in eine Halle passen, um den Rumpf in aller Gründlichkeit zu bearbeiten. Nur wo eine solche für ein so großes Schiff noch finden? Zum großen Glück lernte ich Jasper Simon kennen, der im Februar die Hanse Werft Lübeck gründete – und wir wurden das Pilotprojekt in großartiger Halle, eingebettet in gewachsene Werft-Strukturen und mit Blick auf die Lübecker Altstadt!

Am 1. Februar ging’s nach stürmischer Überfahrt über Elbe und Elbe-Lübeck-Kanal bei Frost und immer wieder Schneetreiben in die Halle, wo Jasper Teile der Außenhaut des Achterschiffes komplett erneuerte. Er baute sie meisterhaft ebenso formverleimt auf wie der extrem starke Rumpf in den 1980er Jahren gebaut wurde. Und zudem beiseitigte er mit größter fachlicher Kompetenz und Ruhe zahlreiche weitere Schwachstellen oder Schäden von der Kiel-Sohle bis zur Klüverbaumspitze. Besonders zusammen mit dem „Altkapitän“ Fridtjof Thiele ziehen wir alle Farbe vom Rumpf ab (anfangs um 0,4 qm/Stunde, später arbeite ich mich bis Mitternacht geradezu in einen „Farbkratz-Rausch“ und schaffe ca. 1,2 qm/Stunde… und irgendwann sind die rund 40qm Fläche geschafft;-). Den Rumpf lassen wir über einen Monat austrocknen und beginnen dann wieder einen kompletten Farbaufbau mit Tiefenimprägnierung durch Ovatrol-Öl, erneut längerem Austrocknen und dann mehrfacher Versiegelung zunächst mit Klarlack, über den wir dann auf weißer Vorstrichfarbe unseren blauen Endlack zweifach aufbringen. So schützen nun insgesamt 10 Schichten das Mahagoni-Holz des knapp 40jährigen Schiffes.

Und damit das Holz und die im letzten Jahr komplett erneuerte Bordelektrik nicht wieder durch Wasser beschädigt wird, nehmen wir als eine weitere große Baustelle das Deck in Angriff. Auch dort wieder: keine halben Sachen. Also arbeiten wir es komplett auf, schneiden die Fugen wieder 5mm tief ins Deck und füllen sie anschließend mit Sikaflex aus. Sind zusammen zig Meter Decksfugen… die Zeit zum Nachmessen, wie viele Meter es genau sind, die schenken wir uns: nützt ja nix, muss gemacht werden! 

Ach ja, wenn die Masten raus sind… dann kommt man auch so gut an die Maschine ran. Und auch da mit aller Konsequenz: vermutlich zum ersten mal in der Geschichte unseres Schiffes öffnen wir die von den italienischen Bootsbauern eingesetzte Service-Luke im Deck und mit absolut präziser und großartiger Arbeit bekommen die zwei Mitarbeiter Frank und Elias von Lübeck Yacht die schätzungsweise 500-700 kg schwere Maschine aus dem Schiff.

Der starken Infrastruktur Lübecks zum Dank und durch die enge Vernetzung der Werften kann die Lübecker Firma Kindt-Motoren, die allerbesten Ruf genießt, unsere Maschine in kurzer Zeit generalüberholen.

Es ist großartig und für mich in der Leitung dieses wirklich komplexen, vielschichtigen Projektes eine riesige Hilfe und Unterstützung, wie viele Kräfte plötzlich zusammenwirken, wenn so ein stolzes Schiff, welches auch mit extrem stark „gestutzen Flügeln“ noch begeistern kann, mit viel (Willens-)Kraft, Herzblut und vollem Einsatz vieler Helfer wieder richtig flott gemacht wird. Ein riesiges Glück ist’s da für mich, dass vom Frachtsegler AVONTUUR wie durch ein helfendes Netzwerk große Unterstützung kommt: denn viel Arbeit wird weggeschafft sowohl vom Smutje Holger Oestmann, der dann bis Stockholm mitsegeln wird, als auch vom Schweizer Samuel Hagnauer, der zuletzt ein Jahr lang mit Kaffee, Kakao, Rum & Gin den Nordatlantik zweifach umrundete. Dabei startete er als Shipmate und fuhr zuletzt auch als Bootsmann. Wir haben nun unter Deck strahlend frisch gestrichene Kombüse und Salon (und wollen uns noch durch die weiteren Kammern arbeiten…) und höchste schweizerische Präzision halfen enorm beim Schleifen des Deckes, dem Farbauftrag und bei zahlreichen anderen Arbeiten. Sam wird die ganze Tour nach Stockholm mitsegeln. Passt ja bestens – auf der SAM-YRAH;-!

Nach der Endlackierung sind wir nun einen kräftigen Schritt weiter Richtung Neustart – auch wenn noch wesentliche „Puzzleteile“ eingefügt werden müssen, damit wir wieder lossegeln können. Für jedes Puzzleteil braucht’s neben viel handwerklicher Arbeit natürlich auch ordentlich Geld… Doch nun geht’s nächste Woche am 28. April ins Wasser, dann kommen erst die Maschine und später die Masten rein… und wir sind voller Hoffnung, dass bei so vielen guten Kräften um uns herum alles bestens und nach Plan laufen kann – wenn auch meist nicht nach Plan A, aber noch nie erst nach Plan X…;-!

Ich werd berichten, bevor wir am 15. Mai aus der Trave gen Kopenhagen & Stockholm raussegeln wollen.

Mit frischem Wind, Freude und Schwung wollen wir im Frühjahr losziehen. Nach tiefgreifendem Umbruch soll’s nun auf vielen Ebenen vorwärts gehen, denn der AUFbruch gilt nicht nur dem Segeln!

In der Bildergalerie gibt’s mit 50 Fotos & Texten Eindrücke des Refits vom November bis zum aktuellen Zeitpunkt.